Kanada 2004

Reisebericht

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– aufgeschrieben von Rolf (80) –

 

Samstag, 29. Mai

Um 11.45 Uhr startet unsere Lufthansa-Maschine vom Düsseldorfer Flughafen nach Frankfurt, wo wir eine Stunde später eintreffen. Um 13.45 Uhr geht es mit der Air Canada weiter. Es gibt zwei warme Mahlzeiten, und nach 10-stündigem, ruhigem Flug landen wir im kanadischen Vancouver (British Columbia) unweit der Pazifikküste; Ortszeit 14.40 Uhr. Unsere Uhr muss also 9 Stunden zurückgestellt werden. Es wird ein entsprechend langer Tag.

Wir nehmen ein Taxi für die Fahrt nach Norden durch die Stadt, die in ihrer Unansehnlichkeit stellenweise an Los Angeles erinnert. Niedrige Bauten mit Flachdächern überwiegen; das Gewirr der offenen Stromdrähte wirkt hässlich. Die Straßen bzw. Highways sind breit, der Verkehr beachtlich. Unser Fahrer ist ein bärtiger Sikh mit Turban; unterwegs erfahren wir, dass in Vancouver 150.000 Inder leben.

Auffallend ist eine "rote Welle" bei der Ampelschaltung, was das Taxameter entsprechend hochtreibt, so daß wir auf 28 Dollar kommen. Ob die Taxifahrer-Lobby dahintersteckt?

Unser gebuchtes Comfort Inn Hotel in der Nelson Street der Downtown macht einen schlichten Eindruck, was mir nur recht ist. Nachdem wir unser Gepäck in unserem Zimmer im 2. Obergeschoss untergebracht haben, unternehmen wir einen Bummel durch die lebhaften Geschäftsstraßen, vor allem die Robson Street. Wir besuchen auch den Stadtteil Gastown, wo es u.a. eine funktionierende Uhr auf einer Säule gibt, die durch eine kleine Dampfmaschine betrieben wird, genannt Steam Clock. In der Nähe finden wir eine Sushi-Bar und genehmigen uns einen japanischen Imbiss.

 

Sonntag, 30. Mai

Das kontinentale Frühstücksbuffet im Hotel ist im Übernachtungspreis inbegriffen und wird im stilechten "Irish Pub" des Hauses eingenommen. Den Vormittag dieses Ruhetages (ein solcher wird aus Gründen der Verkehrssicherheit sogar den von Übersee einfliegenden Mietern der Wohnmobile vorgeschrieben) verbringen wir bei schönem Wetter mit einer Wanderung zum nördlich auf einer Halbinsel gelegenen Stanley Park. Hier steht u.a. eine Gruppe echter indianischer Totempfähle, eine beliebte Touristenattraktion. Wenn man die Unmengen japanischer Besucher hier und an anderen Orten sieht, kann man nicht glauben, dass es die Deutschen sein sollen, die angeblich "Reise-Weltmeister" sind. Wir umrunden den östlichen Teil des Parks an der Küste entlang, stoßen auf eine Art moderner Kopie der Kopenhagener "Meerjungfrau" im flachen Wasser ("Maiden with wet suit") und wandern auf schönen Waldwegen quer durch die Halbinsel zurück zur Downtown. Sehr alte, mächtige Zedern säumen unseren Weg, der am seerosenreichen Beaver Lake vorbei führt. Im Stadtgebiet angekommen, benutzen wir einen Bus zum Hotel, um eine Ruhepause einzulegen.

Gegen 18 Uhr machen wir uns zu Fuß auf zur Chinatown, dem größten Chinesenviertel Kanadas, das wirklich mit fernöstlichem Flair aufwartet. In einer Fußgängerzone der East Pender Street bummeln wir durch den bevölkerten Night Market, in dem zu 90% Chinesen flanieren. Die zur Straße hin offenen Geschäfte bieten Hunderte unbekannter unverpackter Lebensmittel mit ausschließlich chinesischer Beschriftung an, Früchte, Wurzeln, Pilze und andere undefinierbare Objekte. So fallen uns Einmachgläser auf, in denen sich ca. 10 cm große graue Larven befinden, die an riesige Kellerasseln erinnern. Ein virtuoser südamerikanischer Panflötenspieler zwingt uns eine Weile zuzuhören, und schließlich landen wir in einem einfachen Straßenrestaurant, wo wir unterschiedliche chinesische Gerichte bestellen. Zu Fuß geht es anschließend zurück zum Hotel.

 

Montag, 31. Mai

Nach dem Breakfast bringt uns ein Taxi, das wiederum von einem bärtigen indischen Turbanträger gesteuert wird, in den Stadtteil Delta (River Road) zur Wohnmobil-Vermietung CANADREAM CAMPERS. Wir müssen uns eine Weile gedulden, bis unser Fahrzeug übergabebereit ist. Es ist ein Vanguard VXL 2000 von Ford; das Kennzeichen (nur hinten) ist Alberta C-12365. Der Angestellte, der uns die technischen Details erklärt, ist übrigens ein Schweizer und spricht deutsch. Unser Fahrzeug ist mittelgroß und hat – außer den Türen im Cockpit – hinten rechts einen weiteren Eingang. Die Tür ist teilbar, so daß beim Campieren ein feinmaschiges Mückengitter Luft, aber keine Quälgeister herein lässt. Im Heck befindet sich die Küche mit kleinem Spülbecken, kaltem und heißem Wasser (letzteres wird während der Fahrt durch einen gasbetriebenen Boiler aufbereitet), Mikrowellengerät, sowie Gasherd einschließlich Backofen mit Abzugswrasen. Nah dabei ist auch der (90 Liter fassende!) Kühlschrank und ein zusätzliches großes Tiefkühlfach. Kochutensilien und Essgeschirr sind vorhanden.

In der hinteren Ecke ist die "Nasszelle" mit kleinem Waschbecken und WC, sogar eine, wenn auch enge, Duschwanne ist da. Das kanadische Toilettenpapier hat die Stärke von Seidenpapier und dessen Mangel an Reißfestigkeit. – Handtücher werden gestellt, ebenso die Bettwäsche, alles in marineblau.

Im Dach befindet sich eine elektrisch betriebene Klimaanlage; auch die Heizung, welche nachts gefahrlos betrieben werden kann, erweist sich in kalten Nächten als nützlich. Ein reichlich bemessener Gastank erfordert unterwegs kein Nachfüllen. Der Rauchmelder an der Decke reagiert überempfindlich auf geringfügig steigende Temperaturen; denn er nervt bei jedem Wasserkochen durch schrilles Pfeifen. Da er nicht abzustellen ist, muss die Abdeckkappe jeweils schleunigst demontiert werden.

Überall gibt es Staufächer in unterschiedlicher Größe. Links vom Mittelgang ist ein Tisch montiert mit beiderseitigen Polstersitzen, quer zur Fahrtrichtung. Die Tischplatte wird abends versenkt, die Polster zum Doppelbett umgebaut. Gegenüber auf der rechten Seite befindet sich eine Polsterbank in Längsrichtung, die abends zu einem zweiten Bett umgebaut wird. Dadurch entstehen zwei fast aneinanderstoßende, unterschiedlich hohe Liegeflächen, was uns zunächst enttäuscht, weil beim nächtlichen Verlassen des Bettes ohne Zwischengang ein wenig Klettern angesagt ist. In der Praxis empfinden wir diese Einrichtung jedoch als unproblematisch. Die beiderseitigen Fenster haben ebenfalls einen verschiebbaren Teil, der ein luftiges Mückengitter freigibt.

Wir fahren die Küstenstraße ("Sea-to-Sky"-Highway 99) nach Norden entlang der Horseshoe Bay und dem Howe Sound. Die bisherige urbane Umgebung ist inzwischen purer Natur gewichen; ausgedehnte Nadelwälder mit den für Britisch-Columbien typischen hohen und schlanken, irgendwie zerzaust erscheinenden Hemlocktannen begleiten uns ab jetzt. Gegenüber einem Mining Museum, das vom einst reichen Abbau von Kupfer, Zink, Silber und Gold kündet, und von dem noch alte Gerüstkonstruktionen am Berghang zu sehen sind, verzehren wir einen Hot dog. Auf einen Besuch verzichten wir. Auf der Weiterfahrt beeindruckt ein schroffer Felsriese vor uns, der 702 m hohen Stawamus Chief, einer der größten Granitmonolithen der Welt, der uns an den legendären Klettergipfel El Capitano im Yosemite-Nationalpark in den USA erinnert. Hier in der Nähe machen wir einen Abstecher zu Fuß zu den sehenswerten Shannon Falls, einem Wasserfall von beachtlicher Höhe. Auf dem nassen Wanderweg – es hat ein wenig zu regnen begonnen – entdecken wir eine nie zuvor gesehene olivfarbene Nacktschnecke normaler Größe mit schwarzen Flecken (die später als Bananenschnecke [Ariolimax columbianus] identifiziert werden konnte).

Hinter Squamish erstreckt sich zur Rechten der Garibaldi Provincial Park, ein Hochgebirgsmassiv, das bis fast 2900 m ansteigt. Bald erreichen wir im Alice Lake Provincial Park unseren Campground, dessen Stellplätze mitten im Wald verstreut liegen. Stets gehört ein Sitzplatz (Holztisch mit Bänken) und eine Feuerstelle mit Rost dazu.

 

Dienstag, 1. Juni

Nach dem Frühstück fahren wir bei leichtem Regen zum Parkplatz am Alice Lake, von dem aus man einen längeren Rundweg wandern kann, der vier Wald-Seen berührt. Wir begnügen uns mit der Hälfte, indem wir einen urtümlichen Pfad durch naturbelassenen Nadelwald zunächst am Ufer des Alice-Lake, dann um den Stump Lake gehen und auf der anderen Seite des Alice Lakes zurückgelangen.

Über den Highway 99 kommen wir nach Whistler, einem der seltenen Orte mit origineller Architektur. Hier herrscht optisch das Dreieck vor in Giebeln, Dachaufbauten, Türmchen etc. Gegenüber den gewohnt eher unansehnlichen Siedlungen bietet das Städtchen geradezu ein ästhetisches Erlebnis. Wir stärken uns mit einem Pizza-Viertel und fahren weiter über Pemberton und eine landschaftlich reizvolle Bergstrecke, die durch endlose Nadelwälder führt, bei der 16%iges Gefälle keine Seltenheit ist. Wir fragen uns, wie schwere Trucks diese Steigungen bewältigen mögen, sehen aber, wie auch sonst auf den Highways, überwiegend nur Mobilhomes unterwegs. Am Anderson- und Seton Lake vorbei erreichen wir den Hydro Parksite, einen einfachen, aber kostenlosen Platz in romantischer Lage, den eine Hydro-Compagnie gesponsort hat. Auch hier sind die Stellplätze wieder unter Bäumen und zwischen Felsen verteilt. Sanitärgebäude mit Waschräumen fehlen, aber saubere Plumpsklos und Wasserpumpen stehen zur Verfügung. Inzwischen hat auch die Sonne wieder den Regen abgelöst.

 

Mittwoch, 2. Juni

Der Himmel zeigt sich teils wolkig, teils heiter. Vor der Weiterfahrt drehen wir eine Runde zu Fuß über den Goldrush Trail durch das reizvolle Areal, zu dem der wild schäumende Cayoosh Creek gehört. Thomas, dessen scharfem Auge nichts entgeht, entdeckt unterwegs einen Kolibri, den ich allenfalls für einen schwirrenden Nachtfalter gehalten hätte. – Ein Warnschild fordert die Camper auf, darauf zu achten, eine unerwünschte Kontamination mit dem sich rasch ausbreitenden Unkraut Knapweed zu vermeiden. Da uns dieser pflanzliche Schädling unbekannt ist, können wir mit der Warnung mangels einer Abbildung wenig anfangen. Erst später erfahren wir, dass es sich um die bei uns gemeine Flockenblume handelt, deren Einstufung als Unkraut uns unverständlich ist.

Über die Highways 99 und 97, der historischen Cariboo Wagon Road (jetzt Cariboo Highway), geht es durch eine breite Flussebene weiter. Eigenartige Ortsnamen (70-, 100-, 150 Mile House) stammen noch aus der Goldgräberzeit, als man damit die Entfernung vom Hauptort Lillooet angab. Das letzte Stück unserer heutigen Etappe führt uns am langgestreckten See Lac la Hache entlang. – Hinter Williams Lake suchen wir einen Übernachtungsplatz. Wir gehen das Risiko ein, einige Angebote auszulassen, die uns ihrer Lage wegen nicht gefallen, dann finden wir einen, der uns zusagt, am McLeese Lake (McLeese Lake Resort). Die Umgebung des Sees wirkt auf uns wildnisverwöhnte Camper eher etwas zivil als naturhaft, doch bietet unser Stellplatz am Ufer einen reizvollen Blick über das Wasser, einen hübschen Steg und ein paar schaukelnde Boote.

 

Donnerstag, 3. Juni

Immer wieder fällt mir auf, wieviel unterschiedliche Mobilhomes es gibt, – keine zwei gleichen Typs sieht man –, einige wenige sind kleiner als unser Van, die meisten größer bis riesig. Oft hängt mittels einer Spezial-Deichsel ein mindestens mittelgroßer PKW hinten dran, entsprechend der Sitte bei uns, Fahrräder oder auch mal ein Motorrad hinten am Wohnmobil zu befestigen, um vom Stellplatz aus leichter Besorgungen machen zu können.

Über den Highway 97 geht es weiter nordwärts am Fraser River entlang nach Quesnel. Hier biegen wir nach Osten ab zu einem Abstecher über die schmalspurige 26, um hinter Wells den Ort Barkerville aufzusuchen. Bei diesem sehenswerten Freilichtmuseum handelt es sich um eine historische Goldgräbersiedlung, bei der die restaurierten Holzgebäude entweder an ihrem ursprünglichen Platz stehen oder von anderen Orten herbeigeschafft wurden. Historisch kostümierte "Einwohner" beleben die Szene, Pferdewagen und Kutschen fahren durch die Straßen; in den stilecht eingerichteten Läden kann man Waren kaufen wie in alter Zeit.

Auf der Weiterfahrt, nun über eine mit feinem Schotter befestigte "Gravel Road", erblickt Thomas flüchtig seinen ersten Schwarzbären, den ich nur als Schatten im Wald verschwinden sehe. Kurz darauf begegnen wir einem weiblichen Mule Deer (Maultier-Hirsch), das gemächlich die schmale Bergstraße überquert. Einige Kilometer weiter liegt am Bowron Lake unser Campingplatz, der entgegen unserer Erwartung trotz seiner schönen Lage völlig leer ist. Wir stehen mit unserem Van allein auf weiter Flur, – vor uns der blaugrüne Bergsee, dahinter die schneebedeckten Gipfel der Cariboo Mountains. Vom Platzwart erfahren wir, dass am nahen Flüsschen derzeit regelmäßig eine Grizzly-Mutter mit ihren Jungen auftaucht; wir werden aber wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit vor einer Annäherung gewarnt.

 

Freitag, 4. Juni

Wir fahren den gleichen Weg zurück nach Quesnel über die windungsreiche schmale Bergwaldstraße. Unterwegs beobachten wir einen Elch, der ruhig am Rande eines unterhalb der Straße gelegenen Gewässers im dunklen Wasser steht und sich mit dem Tele fotografieren lässt, bevor er sich ohne Eile durch das aufspritzende flache Wasser davon trollt.

Wir setzen nach dem Tanken in Quesnel die Fahrt nach Norden fort durch das Tal des Fraser River und über den Highway 97. In Prince George biegen wir nach Südosten auf den Yellowhead Highway 16 ab (benannt nach einem Indianer-Häuptling "Gelber Kopf"), der auch weiterhin dem Verlauf des Fraser River folgt. Während sich auf der anderen Flussseite, von uns wegen des Waldes nicht sichtbar, einige Ortschaften angesiedelt haben, führt unsere Straße über mehr als 200 km durch menschenleere Einsamkeit. Nur gleichförmige Nadelwälder begleiten uns. Immerhin ist rechterhand jetzt wieder das schneebedeckte Massiv der Cariboo Mountains zu sehen, wenn auch von der anderen Seite als vorher am Bowron Lake. – Was uns gelegentlich begegnet, sind überwiegend Mobilhomes, einige PKW und hin und wieder ein riesiger Truck mit den aus den USA bekannten, nach oben weisenden Auspuffrohren; darunter auch Langholztransporter.

Beiderseits der Straße sind stets einige Meter baumfrei und grasbewachsen, bevor der dichte Wald beginnt, und hier beobachten wir unsere ersten "echten" Bären, die sich hier vor allem an den Fruchtständen des abgeblühten Löwenzahns gütlich tun; – die meisten davon entdeckt der scharfsichtige Thomas als erster: Zunächst zwei jüngere Schwarzbären auf der rechten Seite, dann zwei auf der linken, später eine Mutter mit Jungem und schließlich eine Grizzly-Mutter mit zwei Jungen! Thomas hält jeweils an, setzt auch schon mal zurück, um besser fotografieren zu können, aber meine ungünstige Sitzposition sowie die umständlich Wechseloptik für mein Tele mit manueller Einstellung erschwert es mir leider, rechtzeitig zum Schuss zu kommen. Dennoch ist es für uns beide ein großartiges Erlebnis, diese imponierenden Raubtiere so nah auf freier Wildbahn beobachten zu können.

Bei dem einzigen Ort auf dieser einsamen Strecke, McBride, erreichen wir unseren Campingplatz Beaver View. Gegen Abend bezieht sich der ansonsten blaue oder bewölkte Himmel, und es beginnt zu regnen. Ich schaffe das Geschirrspülen am Dishwashing-Becken (eine solche Einrichtung ist selten auf hiesigen Plätzen) unter freiem Himmel gerade noch im Trockenen.

 

Samstag, 5. Juni

Wir setzen die Fahrt über den Highway 16 fort, der bei Tête Jaune Cache nach Osten in die Rocky Mountains abbiegt. Hier gelingt es Thomas, reaktionsschnell anzuhalten und einen Bären zu fotografieren, der vor uns über die Fahrbahn wechselt, um rechts im Wald zu verschwinden. Die Straße führt am Fuße des 3954 m hohen Mount Robson vorbei, der höchsten Erhebung des Gebirges. Sie steigt wider Erwarten nicht sonderlich an, und den in der Karte vermerkten Yellowhead Pass nimmt man als solchen kaum wahr. Hier wechseln wir auch von der Provinz British Columbia über nach Alberta. Wir fahren nunmehr in den Jasper-Banff-Nationalpark ein und müssen an einem Checkpoint ein zeitlich befristetes Ticket lösen. Bald erreichen wir Jasper, einen lebhaften, fast mondänen Urlaubsort im Gebirge, wo wir den nächsten Campingplatz Whistlers ansteuern.

Das Areal ist riesig, die Stellplätze liegen wieder einzeln verstreut unter Bäumen. Ein WC im Holzhaus mit zwei Waschbecken ist nicht weit, das einzige Sanitärgebäude mit Dusche erreicht man erst nach fast 15 Minuten Fußmarsch auf verschlungenen Pfaden durch das bewaldete Gelände. – Wie auf den meisten Campingplätzen wird auch hier vor der Begegnung mit Bären gewarnt. Statt auf Raubtiere stoßen wir freilich nur auf einige herumstreifende Wapitihirsche (Elks).

Nach einem Bummel durch den Ort Jasper (zur Anfahrt müssen wir unseren Van benutzen) bestellen wir in einem kleinen Restaurant auf der hölzernen Veranda etwas zu Essen, während ich ansonsten überwiegend auf der gasbetriebenen Bordküche unseres Vans eine bescheidene warme Mahlzeit zubereite, natürlich ohne jeglichen Aufwand. In einem Info-Center schauen wir uns um, welche Unternehmungen von hier aus möglich sind. Da wir 2-3 Tage Zeitpolster eingeplant haben, wollen wir von Fall zu Fall davon durch einen zusätzlichen Aufenthaltstag Gebrauch machen. Doch es kommt anders.

 

Sonntag, 6. Juni

Unser Tagesplan sieht heute einen Ausflug mit Wanderung am Lake Maligne vor, und wir fahren los. Unterwegs legen wir am Medicine Lake eine Pause ein, an dem ein ungewöhnliches geologisches Phänomen zu beobachten ist: Alljährlich im Herbst versickert das Wasser in den Untergrund, um im Frühjahr durch den Maligne River wieder aufgefüllt zu werden. So ist es verständlich, dass die Indianer angesichts dieses augenfälligen periodischen Wechsels nach mystischen Erklärungen suchten und Geister als Urheber vermuteten. Wir erleben, dass derzeit der Seegrund noch teilweise trocken liegt.

Auf der Weiterfahrt warnt am Straßenrand zur Abwechslung ein auffällig mit grellroten Fähnchen besetztes Schild vor Wölfen, denen man auf den nächsten Kilometern begegnen kann. Wir sehen keine; aber kurz vor Erreichen unseres Zieles äst rechts am Waldrand ein Elch, der sich in aller Ruhe beobachten und fotografieren lässt. – Der Lake Maligne ist der größte Bergsee der Rocky Mountains und ein beliebtes Touristenziel. Hier wandern wir am Ufer entlang, beobachten kanadische Wildgänse, die an Land Nahrung aufnehmen und ein munteres Squirrel (amerikanisches Erdhörnchen). Thomas fällt zusätzlich eine farbenprächtige Harlekin-Ente auf. Da ich mich nicht sonderlich fit fühle, kehren wir etwas früher um als vorgesehen.

Auf dem Rückweg erleben wir wieder eine Überraschung: Eine Gruppe männlicher Dickhornschafe (Bighorn Sheeps) trottet unbekümmert am Straßenrand entlang und läßt sich keineswegs durch den fließenden oder stehenden Verkehr stören. Als wir anhalten, um zu fotografieren, schnuppert ein Bock, dessen fast kreisförmig gewundener Kopfschmuck beachtliche Ausmaße hat, zutraulich an Thomas' ausgestreckter Hand. – Des weiteren besuchen wir noch den eindrucksvollen Maligne Canyon, den der Maligne River sich in Jahrtausenden geschaffen hat. Mittlerweile hat es zu regnen begonnen.

Nachdem mir schon den ganzen Tag über unwohl war, bemerke ich gegen Abend deutliche Anzeichen einer offenbar ernst zu nehmenden Erkrankung. Thomas ist sehr beunruhigt und besteht darauf, dass ich noch am selben Tag einen Arzt aufsuche. In Jasper entdecken wir eine kleine Klinik, in deren Emergency ich mich dem diensthabenden Arzt vorstelle. Dieser plädiert für eine umgehende klinische Untersuchung, zu der ihm freilich hier die technischen Mittel fehlen. Hier ist man wohl vornehmlich auf die Behandlung typischer Wintersport-Unfälle eingerichtet. – Ich werde noch in der Nacht die 430 km weite Strecke durch die Rocky Mountains per Ambulance-Wagen transportiert, zusammen mit einem weiteren Patienten. Ich bin die ganze Zeit (und dies für die nächsten beiden Tage) an einen Tropf angeschlossen.

Thomas bleibt zurück und folgt am nächsten Tag allein mit unseren Van, wobei er bedauernd feststellt, dass es sich bei der Strecke um die landschaftlich schönste bisher handelt, die ich nun gar nicht zu sehen bekomme. – Insbesondere bedauert er, dass ich nicht dabei war, als er weitere Schwarzbären, zwei riesige Grizzlies und einen streunenden Wolf (oder war es ein Coyote?) beobachten konnte.

 

Montag, 7. Juni

Gegen 0.45 Uhr erreichen wir in der modernen Großstadt Calgary das FOOTHILLS HOSPITAL. Ich werde in einem großen Vierbett-Krankenzimmer untergebracht, die Betreuung durch Ärzte und Krankenschwestern lässt nichts zu wünschen übrig, und auch Thomas kommt mehrfach zu Besuch.

 

Dienstag, 8. Juni

Zur Mittagszeit wird mir nach 24stündigem Fasten ein mehrteiliger Lunch serviert. Wieder besucht mich Thomas, der die Nächte auf einem nahen Campingplatz verbringt und sich inzwischen interessiert in Calgary umgesehen hat.

 

Mittwoch, 9. Juni

Nach letzten Kontrollmessungen und Arzt-Visite am Morgen kann ich duschen und wieder Zivilkleidung anlegen. Nach dem Breakfast holt mich Thomas ab. Mit ärztlicher Erlaubnis, unter Wahrung der gebotenen Schonung, können wir unsere unfreiwillig unterbrochene Reise fortsetzen.

Was die Kosten dieser zweitägigen Hospital-Aufenthaltes betrifft, so hatte ich glücklicherweise vor der Reise eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen, welche die beträchtlichen Kosten übernahm (die Tagespauschale im Hospital betrug allein über 2500 Dollar, hinzu kam die Emergency-Untersuchung und der Transport mit der Ambulance). Meine Krankenkasse erstattete keinen Cent, weil sie keinen Vertrag mit Kanada abgeschlossen hat.

Wir beschließen, wieder in die Rocky Mountains zurückzufahren, um den versäumten Teil der geplanten Route nachzuholen. – Nachdem wir Calgary verlassen haben, geht es zunächst in westlicher Richtung über die Autobahn (Transcanada Highway 1), wobei wir fast ständig das allmählich näher rückende Hochgebirgspanorama vor uns haben. Hinter Banff endet der Motorway und geht in den Highway 93 über, dem wir auf schöner Strecke mit beiderseitigen Dreitausendern bis Lake Louise Village folgen. Hier tanken wir und sehen uns im Info Center um, dann fahren wir weiter zum Bow Pass (2068 m). Von einem Parkplatz aus steigen wir einen nicht allzu anstrengenden Wanderweg hinauf zum Bow Summit View, einem viel besuchten Aussichtspunkt, von dem man einen überwältigenden Blick auf die Bergwelt und den türkisfarbenen Peyto Lake hat, der tief unter uns liegt.

Weiter geht es über den Highway 93 (der jetzt Icefields Parkway heißt) am Satskatchewan River entlang zum nächsten Ziel, dem Icefield Campground. Dieser naturnahe Platz erfüllt all unsere Hoffnungen auf romantisches Campen in der Wildnis. Streng genommen, ist es gar kein "Platz" im Wortsinn, sondern ein strauch- und baumbestandener Berghang, auf dem die separaten ebenen Stellplätze (nur für Zelte und Vans unserer Größe, nicht darüber!) so verstreut liegen, dass man den Nachbarn nicht sehen kann, wohl aber einen sagenhaft schönen Blick auf die nahen schneebedeckten Berge hat. Plumpsklos gibt es, aber kein Wasser; – wer keines mitführt, muss sich am schäumenden Bergbach bedienen. Verständlich, dass auch hier eindringlich vor herumstreifenden Bären gewarnt wird. – Es gibt übrigens keinen Platzwart; die Gebühr (13 $) muss in bar in eine Kassette eingeworfen und eine Kontrollmarke am Stellplatz-Nummernschild angebracht werden.

Als Thomas vorbereitete Schnittchen auf dem Holztisch draußen für das Abendessen bereitstellt, besucht uns ein kecker Vogel, der ein Verwandter unseres Eichelhähers zu sein scheint und pickt uns den Lachs vom Brot. Auch den Käse verschmäht er nicht. Später identifizieren wir ihn als Kiefern-Häher (Clarks Nutcracker).

 

Donnerstag, 10. Juni

Beim Herrichten des Frühstücks draußen erscheint der Häher von gestern abend wieder am Tisch und hat seine Frau mitgebracht. Auch ein vorwitziges Squirrel lauert darauf, am Frühstück teilnehmen zu können. Wir wissen zwar, dass das Füttern jedweder Wildtiere streng untersagt ist. können aber dem Betteln des possierlichen Gastes schlecht widerstehen. Bei Bären gilt die Regel, dass ihre Gefährlichkeit deutlich zunimmt, wenn sie sich an menschliche Nahrung gewöhnt haben und deshalb abgeschossen werden müssen.

Wir genießen die traumhafte Lage unseres Platzes in aller Ruhe und brechen erst kurz vor 11 Uhr auf. Es ist nicht weit bis zum Parkplatz Icefield unten am Highway. Er hat seinen Namen von den Gletschern (u.a. der Athabasca Glacier), die hier münden, und die man zu Fuß oder mittels eines Shuttle-Busses (der an anderer Stelle startet), aus der Nähe erleben kann. Um die von den Ärzten in Calgary auferlegte Schonung einzuhalten, verbleibe ich auf dem Parkplatz und lasse Thomas allein zum Gletscher gehen.

Wir haben uns geeinigt, dass die Icefields als äußerster Punkt unserer Umkehr-Tour geeignet sind und starten, nachdem Thomas wieder da ist, zum endgültigem Rückweg. Wir befahren nun den Highway 93 wieder in südlicher Richtung und erfreuen uns an den neuen Anblicken der eindrucksvollen Hochgebirgslandschaft, die lediglich Thomas bereits kennt.

Am Satskatchewan River Crossing, wo der Highway den von Osten aus den Bergen kommenden Fluß kreuzt, realisieren wir einen Vorschlag von Thomas, hier abzubiegen und dem engen Flußtal aufwärts zu folgen. Der Abstecher von gut 30 km erweist sich als äußerst lohnend, denn es handelt sich um eine besonders sehenswerte Strecke. Dazu haben wir das Glück, am Waldrand wieder lange einen Schwarzbären samt Jungtier in nächster Nähe zu beobachten, der auf dem Grasstreifen am Löwenzahn zupft. Hin und wieder wischt er sich mit der Tatze ein paar Flugsamen von der Nase, die ihn offenbar kitzeln.

Am Abrahams Lake legen wir eine Brotzeit ein, dazu stellen wir unsere Klappstühle oberhalb des steilen Ufers auf. Der See ist teilweise trocken gefallen, und zahlreiche Sandbänke sind sichtbar. Auf einer steht ein einsamer Angler und fischt im flachen Wasser, er ist der einzige Mensch, den wir in dieser Region zu sehen bekommen. Sein Wohnmobil steht unweit von unserem auf dem ebenen Gelände des Flusstales.

Auf dem Rückweg sehen wir ein White tailed Deer, einen weiblichen Weißschwanz-Hirsch, der auf den ersten Blick einem Mule Deer gleicht, aber die Angewohnheit hat, wie ein afrikanischer Springbock mit allen vier Läufen gleichzeitig Luftsprünge zu machen. Bald darauf beobachten wir unseren ersten Kolkraben, der auf einem Grasstreifen nach Nahrung fahndet.

Am Bow Lake unterbrechen wir, wie schon auf dem Hinweg, unsere Fahrt, um den Anblick des malerischen Bergsees noch einmal zu genießen, auf dem in dieser Höhenlage trotz der Sommerzeit große und kleine Eisschollen treiben. Die schneebedeckten Bergriesen ringsum spiegeln sich im klaren Wasser. Eine kurze Wanderung am Seeufer vermittelt unvergessliche Eindrücke.

In Lake Louise Village, das wir schon vor Tagen kurz kennen gelernt haben, fahren wir auf den weitläufigen Campground, der dem in Jasper ähnelt: Unter Bäumen verstreute Stellplätze, allenthalben Warnungen vor Bären (es soll allein ein Dutzend Grizzlies in der Region geben), Pumas und Wölfen. Strenge Regeln gelten für den Umgang mit Lebensmitteln und Abfällen, welche die Raubtiere anlocken können. Sogar duftende Utensilien wie Zahnpasta oder Shampoo sind davon betroffen. Wie an allen anderen Orten sind die Abfall-Container derart gesichert, dass nur ein menschlicher Finger, aber keine Bärentatze an das versteckte Schnappschloß gelangen kann. Das Areal für die Zelter liegt übrigens separat und ist zur Sicherheit mit einem 7000-Volt-Elektrozaun umgeben.

 

Freitag, 11. Juni

Am Morgen ist es regnerisch; es klart jedoch im Laufe des Vormittages auf. Zunächst leisten wir uns noch einen Abstecher und besuchen zwei lohnende Bergseen. Der nahe Lake Louise hat wegen einer stattlichen Hotelanlage (The Fairmont Château Lake Louise) einen für unseren Geschmack eher zivil wirkenden Uferbereich, den zweiten, einsam liegenden, erreichen wir in etwa halbstündiger Fahrt über eine schmale Waldstraße. Es ist der, zumindest in Parkplatznähe, stark besuchte Moraine Lake, dessen Ufergelände mit einem Gewirr von vielen hundert Baumstämmen bedeckt ist, die es zu überklettern gilt, wenn man zum Wasser will. Wir lassen uns nicht abschrecken und wandern am Seeufer und Waldrand entlang, wobei wir hoffen, dass unser Pfad nicht auch von Bären benutzt wird, vor denen hier wieder gewarnt wird. Der Anblick des türkisfarbenen Wassers vor den schroffen Bergwänden, deren schneebedeckte Rinnen tief hinunter reichen, belohnt uns für die geringe Mühe des Anmarschs.

Nach diesem Ausflug setzen wir unsere Fahrt nach Süden auf dem Highway 93 fort; benutzen aber nicht wie auf dem Hinweg die hier beginnende Autobahn nach Banff, sondern den weniger befahrenen schmalen Bow Valley Parkway, der parallel dazu verläuft und sich als besonders reizvoll erweist. Unterwegs haben wir noch das Glück, zwei weitere White tailed Deers zu beobachten. – Ab Banff befahren wir dann den Motorway – bis Calgary, wobei wir noch einmal eine feuchte Wetterfront durchqueren müssen.

Bei der Fahrt durch die Stadt kommen wir an dem großen ockerfarbigen Gebäude des Foothills Hospitals vorbei, in dem ich mein zweitägiges Intermezzo als Patient zugebracht habe. Rechterhand sehen wir die Sprungschanze von den Olympischen Winterspielen 1988. – Der urban wirkende Campingplatz der KOA-Kette ist der einzige langweilig anmutende unserer Tour, obwohl er mit allem Notwendigen ausgestattet ist und sogar einen Swimmingpool hat, der freilich bei dem kühlen Wetter keine Anziehungskraft auf uns ausübt. Dafür ist der Platz auch der teuerste.

Nach der Buchung fahren wir ein Stück in die Stadt, um in einem Shopping Center, das Thomas schon kennt, in einem koreanischen Barbecue-Imbiss etwas Schmackhaftes zu essen.

 

Samstag, 12. Juni

Nach dem Frühstück fahren wir auf einen Parkplatz in der City, um uns in der modern und ästhetisch recht ansprechend wirkenden Downtown umzusehen, in dem die architektonische Vielfalt der meist verglasten oder verspiegelten Hochhausfassaden angenehm auffällt. Wir steuern das Glenbow-Museum an, um uns mit der Geschichte und Kultur der indianischen Ureinwohner zu befassen. Das hervorragend gestaltete Museum spricht uns u.a. deshalb an, weil die erklärenden Texte aus der Sicht eben dieser ethnischen Gruppe formuliert sind ("Wir ..."). Wieder einmal wird dem Besucher bewusst, was den Ureinwohnern Nordamerikas einst angetan wurde, als ihnen die Eindringlinge aus der Alten Welt einfach das Land wegnahmen und ihre alte Kultur zerstörten.

Nach der Rückgabe des Vans bei der CanaDream-Niederlassung in Calgary bringt uns ein Firmenbus zum Flughafen.

Um 19.15 Uhr starten wir mit der Canada Air Richtung Frankfurt, wo wir bald Anschluß mit der Lufthansa nach Düsseldorf haben. Hier muss ich erneut meine Uhr umstellen, diesesmal 8 Stunden vor (auf unserer Camperfahrt in Kanada ostwärts waren wir in eine andere Zeitzone geraten als nach dem Hinflug). Am Flughafen erwartet uns Thomas' Frau, die uns sicher nach Hause bringt.

 

Essen, im August 2004
© Rolf Schoch