China 2009

Reisebericht

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– aufgeschrieben von Rolf (84) –
 

Samstag, 10. Oktober

Wir fahren um 15 Uhr mit dem Auto los und erreichen nach gut 2 Stunden Frankfurt, wo wir den Wagen im Parkhaus „Airpark“ abstellen. Ein Shuttlebus bringt uns zum Flughafen, wo wir bei China Air einchecken und um 20:20 mit der Flug-Nr. CA 932 starten. Die bevorstehende Flugstrecke beträgt 6320 km, – das entspricht 9 Stunden Flugzeit.

 

Sonntag, 11. Oktober

Vom Flug über die Länder der ehemaligen Sowjetunion und die Weite Sibiriens bekommen wir nichts mit. Meine Uhr zeigt 5:20 Uhr, als wir im Airport Beijing (Peking), der Hauptstadt Chinas, landen; aber die Ortszeit hier ist bereits 11:20 Uhr; denn durch den Flug nach Osten hat sich unser Tag um 6 Stunden verkürzt. Die kühne Konstruktion der riesigen freitragenden Halle des Terminals beeindruckt uns. Thomas macht mich auf die roten Säulen am Rande aufmerksam, die weniger statische Funktion haben als die eines architektonischen Zitats der klassischen chinesischen Tempel, wo sie fast nie fehlen. – Das chinesische Personal bei der Gepäck-Kontrolle trägt einen Mundschutz, und unsere Körpertemperatur wird mittels einer Infrarot-Sonde auf Abstand gemessen. Offenbar will man bei eventuellen Fieberwerten mögliche Infektionen aufspüren.

In der Halle des Terminals erwartet uns unser Guide, Herr Wu, der sich mittels eines Pappschilds mit unserem Namen erkenntlich gibt. Er ist ein junger Germanistik-Student, der noch nicht in Deutschland war, aber unsere Sprache gut beherrscht. Draußen steht unser Honda-Kleinbus samt Fahrer, der uns nun in die Metropole (15,5 Millionen Einwohner) fährt.

Es scheint Rush Hour zu sein, es mag aber auch die hier zu jeder Zeit übliche Verkehrsdichte herrschen (in Beijing werden täglich 1000 neue Autos zugelassen!). Unsere Straßenseite ist überwiegend dreispurig, zahlreiche Busse und Taxis sind unterwegs. Letztere sind zweifarbig, wobei braun überwiegt. Unter den häufigen Volkswagen (aus chinesischer Produktion) gibt es auch Typen, die bei uns unbekannt sind. An den Kreuzungen in der Innenstadt wirkt das Verkehrsgewimmel nahezu chaotisch; die hier üblichen Vorfahrtsregeln sind nicht ohne weiteres zu erkennen. Fußgänger auf Zebrastreifen genießen keine Vorrechte (später erleben wir selbst, dass uns nicht einmal das Grün der Fußgängerampel schützt, und das bei Dunkelheit!). Allenthalben wird gehupt, um sich ein Einfädeln oder Vorbeikommen zu ermöglichen. Zahlreiche Radfahrer schlängeln sich durch das Gewühl (im Dunkeln fahren allesamt mangels einer hier unüblichen Beleuchtungsanlage grundsätzlich ohne Licht), Mopedfahrer benutzen ohne weiteres unsere Fahrspur auch in Gegenrichtung. Auffallend ist der verbreitete Transport voluminöser Lasten (Säcke, Kartons, Käfige mit Tieren und andere Materialen) auf Zwei- oder Dreirädern.

Die zahlreichen Hochhäuser zu beiden Seiten werden nur hin und wieder durch niedrige Bauten unterbrochen. In den letzten 15 Jahren hat sich das Stadtbild stark verändert; vor allem hat die Vorbereitung der Olympiade zur Beseitigung alter eingeschossiger Siedlungen und Errichtung neuer Hochbauten geführt. Der chinesische Hochhaus-Typ (oft über 20 Stockwerke hoch) wirkt durchweg anders als bei uns. Vor allem die Dächer sind nicht einfach flach, sondern werden meist durch fantasievolle Aufbauten gekrönt (möglicherweise stellt das eine bewusste Parallele zu der aufwändigen Art der traditionellen Dachform aus Hohlziegeln dar mit ihren schönen geschwungenen Traufen und Ecken): Arkaden, Spitztürmchen, Kuppeln, Kegelstümpfe, Kugeln, kleine Pagoden, blütenähnliche Schmuckformen u. ä. sieht man. Die hohen Wohnbauten sind an der filigranen Struktur ihrer Fassaden zu erkennen, da hier Balkons und Erker üblich sind, ebenso die Lüftungskästen der Klimaanlagen, die wie Lautsprecherboxen an der Außenwand der Wohnungen wirken. – Die Fassaden der Geschäftshäuser hingegen sind glatt, oft vollständig verglast, auch dunkel oder grünlich. Oben auf dem Dach sind oft riesige chinesische Schriftzeichen angebracht. Die Architekten haben ihrem Gestaltungsdrang offenbar freien Lauf lassen können; so sind neben der gewohnten rechtwinkligen Quaderform auch Abschrägungen, Rundungen und konische Formen zu sehen.

Die Beschriftung der Verkehrs-Hinweise ist überwiegend chinesisch (weiß auf blauem Grund); nicht immer sind zusätzliche Worte mit lateinischen Buchstaben vorhanden, die für uns lesbar sind. Die Auto-Kennzeichen bestehen aus arabischen Ziffern und zusätzlichen 1-2 Buchstaben unseres lateinischen Alphabets. Nur das Orts-Kennzeichen ist chinesisch geschrieben. – An manchen Ampeln lassen Ziffern-Displays mit abwärts laufenden Zählwerken erkennen, mit wieviel Sekunden der Rot- oder Grün-Phase noch zu rechnen ist.

Nachdem wir unterwegs einen Blick auf das in der Ferne sichtbare Olympiastadion (wegen seiner originellen Form „Vogelnest“ genannt) geworfen haben, fahren wir zunächst ein Speiselokal an, um eine Mahlzeit einnehmen. Der Guide und der Fahrer essen abseits von uns (mit der Verrechnung haben wir nichts zu tun, das übernimmt Herr Wu).

Das chinesische Essen hat andere, intensivere Geschmacksnuancen, als wir es bei „unserem“ Chinesen gewohnt sind und bietet eine noch größere Palette an angebotenen Spezialitäten. Wer statt der Stäbchen Messer und Gabel wünscht, bekommt sie natürlich. Auffallend ist, dass zur Hauptmahlzeit kein üblicher Ess-Teller benutzt wird, sondern ein viel kleinerer, etwa zwischen Dessert-Tellergröße und Untertasse. Grundsätzlich wird neben dem gewünschten Getränk lauwarmer Tee serviert.

Nach dem Essen geht es weiter zum Kaiserlichen Sommerpalast. Das weitläufige Areal mit seinen zahlreichen schönen Hallen, Toren, Pavillons und Gärten sowie bronzenen Skulpturen stammt im Wesentlichen aus dem 18. Jahrhundert, musste aber nach der Zerstörung durch britische und französische Kolonialtruppen wieder aufgebaut werden. Es gehört heute zum Weltkulturerbe. Von einem langen Wandelgang aus, der durchgehend mit erzählenden Malereien verziert ist, hat man einen reizvollen Blick auf den (künstlichen) Kumming-See, auf dem unter anderem hübsche Drachenboote verkehren. – Erst nach der Besichtigung suchen wir unser hiesiges Hotel Quianmen auf.

 

Montag, 12. Oktober

Nach dem Frühstück (das Büffet im großen Speiseraum bietet wie üblich neben der kontinentalen und britischen Version auch warme chinesische Gerichte an) fahren wir bei trübem Wetter über den dreispurigen „Ring“ (einer von sechsen) in einen Stadtteil, um dort eine Zuchtperlen-Manufaktur zu besuchen, bei der die Austern in Süßwasser-Aquarien gehalten werden (dieses Verfahren gibt es weltweit nur in China). Eine Vorführ-Dame öffnet vor unseren Augen eine Auster mit dem Messer und entfernt damit eine Reihe kleiner Perlen aus dem fleischfarbenen Inneren. In einer großen Halle wird nicht nur allerlei Schmuck aus Perlen angeboten; hier können wir auch zuschauen, wie Perlen in einer Einspannvorrichtung durchbohrt, von jungen Arbeiterinnen aufgefädelt werden und die Kette mit einem Schlösschen versehen wird. – An den Wänden hängen eindrucksvolle Bilder zum Verkauf, die in perfekter Seidenstickerei in einer mir bislang unbekannten Technik gefertigt wurden.

Anschließend verlassen wir die Stadt in nordöstlicher Richtung, um bei Badaling die Große Mauer aufzusuchen. – Von den 6300 km dieses gewaltigen Bauwerks, dessen älteste Teile vor 2300 Jahren während der Qin-Dynastie entstanden sind, erleben wir nur einen kleinen Ausschnitt. Von unserem Parkplatz aus besteigen wir in Gesellschaft Hunderter von Touristen die zahllosen, ungewöhnlich steilen Treppenstufen aufwärts; denn an dieser Stelle folgt die Mauer dem Kamm des ansteigenden Bergrückens; so dass mit ebenen Abschnitten nicht gerechnet werden kann. Nach dem ersten steilen Anstieg, bei dem mir das eiserne Geländer an der Mauer-Innenseite zustatten kommt, erreichen wir einen massiven Turm, der wie die Mauerränder auf der „Feindseite“ von Zinnen gekrönt ist. Meine Begehung beende ich gemeinsam mit Bärbel am dritten Turm, während Thomas bis zum sechsten weiter aufwärts steigt. Als er zurückkommt, beweist sein hochroter Kopf das Ausmaß der Anstrengung dieses Anstiegs über mehr als 1700 Treppenstufen, die keineswegs nach ergonomischen Gesichtspunkten geschaffen wurden. Beim Abstieg können wir in Blickrichtung weitere Abschnitte der Mauer auf dem benachbarten Bergrücken sehen, die man dort von einer seitlichen Zugangstreppe aus erreichen kann.

Unser Mittagessen nehmen wir nach der Rückkehr in die Stadt im Speiselokal Si Wei ein. Dann fahren wir zu den außerhalb Pekings liegenden Ming-Gräbern. Der Gang dorthin führt vom Parkplatz über den Heiligen Weg, eine schnurgerade breite Allee, die von steinernen Figuren gesäumt ist: einige stellen Tiere dar (Löwen, Kamele, Elefanten), andere Fabelwesen oder Würdenträger aus der Ming-Zeit. Die 13 Kaiser-Gräber selbst liegen verstreut in der bergigen Landschaft; lediglich eines ist für eine Besichtigung zugänglich. Die unterirdischen Grabanlagen sollen regelrechte Paläste enthalten.

Nach der Rückkehr ins Hotel suchen wir bei einbrechender Dämmerung zu Fuß eine der unweit gelegenen Hutongs auf, welche Thomas und Bärbel am Vorabend entdeckt haben, und die im wachsenden Peking immer seltener werden. Die enge Gasse ist gesäumt von niedrigen grauen Behausungen, in denen Wohnungen und Geschäftsräume liegen. Vieles ist offen einsehbar, so eine Schusterwerkstatt, ein Friseur und eine Arztpraxis. Am Straßenrand sitzen die Bewohner an Tischen vor einem Topf über einem Holzkohlenfeuer und essen, sie spielen Mah-Jongg oder andere Gesellschaftsspiele. Simple Garküchen (oft Teil eines Dreirades) verbreiten verführerische Düfte ihres gebratenen, meist exotischen Angebots.

 

Dienstag, 13. Oktober

Unser erster Weg führt uns zum Tian'anmen, dem „Platz des Himmlischen Friedens“, der seine Berühmtheit weniger der Tatsache verdankt, dass er der größte Platz der Welt sein soll (er fasst eine Million Menschen), sondern eher dem tragischen Ereignis, dass hier am 3. Juni 1989 eine Demokratie fordernde Studenten-Demonstration brutal durch Militär niedergeschlagen wurde, was viele Tote forderte, – das „Tian'anmen-Massaker“.

Heute liegt der Platz friedlich da. Die wenigen Polizisten stören nicht. Er wird, da kürzlich das 60jährige Bestehen der Volksrepublik China gefeiert wurde, noch gesäumt von 56 vergoldeten Säulen, die für die 56 ethnischen Gruppen des Reiches stehen. Am Westrande des Platzes erhebt sich die Große Halle des Volkes, geschmückt mit einem Bildnis Maos, der hier vor 60 Jahren die Republik ausrief. Vor dem Mao-Mausoleum im südlichen Teil des Platzes hat sich eine endlose Schlange von einigen Hundert Menschen gebildet.

Weiter geht es zu Fuß in die unweit des Platzes gelegene (ehemals) „Verbotene Stadt“ zum Kaiser-Palast. – Das ausgedehnte Gelände ist rechteckig und von einer Mauer umgeben, die an den Ecken durch Wachttürme ergänzt wird. Außen folgt der Mauer ein kanalartiger breiter Wassergraben. Im Innern finden sich in weitgehend linearer Anordnung Tore, Pavillons, Tempel, Hallen und Paläste. Über den sich durch das Areal schlängelnden „Goldwasser-Kanal“ führen mehrere Marmorbrücken. Erhöhte Bereiche um die Paläste sind von kunstvoll gestalteten Treppen und steinernen Balustraden umgeben. Die Bronzeskulpturen stellen neben Tieren wie Kranich und Schildkröte vor allem Löwen dar als Symbol der kaiserlichen Macht. Das männliche Tier ist erkenntlich an einer kugelförmigen Glocke, die um seinen Hals hängt, das weibliche daran, dass es ein Löwenkind unter der Tatze zu Boden drückt. – An mehreren Stellen stehen große, teilweise mit Goldbronze gestrichene Wasserbehälter von halbkugeliger Form, in denen Löschwasser für den Fall eines Brandes bereit gehalten wurde. Im Winter wurden sie durch Holzkohlenglut beheizt, damit das Wasser nicht gefror.

Wir fahren weiter zum Besuch einer TCM-Praxis (Traditionelle Chinesische Medizin). Nach dem Einführungsvortrag eines Arztes erhält jeder von uns eine spezielle Fußmassage, die offenbar gleichzeitig eine Reflexzonen-Therapie enthält. Auf Wunsch wird eine örtliche Akupunktur verabreicht; – die meine richtet sich gegen meinen schmerzhaften „Tennisarm“, lässt aber eine Wirkung vermissen.

Unser nächstes Ziel ist der Himmelstempel (auch Himmelsaltar). Statt eines einzelnen Bauwerks erwartet uns ein weitläufiges Gelände mit mehreren Toren und freien Altarebenen. Auf einem kleineren, einstöckigen Rundbau mit blau glasierten Tonziegeln, dem Kaiserlichen Himmelsgewölbe, folgt ein eindrucksvoller größerer mit dreistufigem Dach, der auf einer terrassenförmig angelegten Erhöhung steht: die Halle der Erntegebete. – Ein kreisrunder Platz ist von einer Echo-Mauer umgeben, an der manche Touristen den akustischen Effekt ausprobieren.

Unser Abendessen nehmen wir in einem Restaurant ein, das sich auf die Zubereitung der berühmten Peking-Ente spezialisiert hat. Das nach uraltem Rezept aus der Ming-Zeit präparierte Entenfleisch wird in feinste Scheiben geschnitten, welche, in Sojasauce gedippt, in crêpe-artige Weizenpfannküchlein gewickelt und zusammen mit Lauchzwiebeln und Streifen von Salatgurke verzehrt werden.

 

Mittwoch, 14. Oktober

Am Vormittag lassen wir uns mit zwei Fahrrad-Rikschas durch die Hutongs der Altstadt fahren (je zwei Fahrgäste auf dem überdachten Sitz über der Hinterachse), wobei der Fahrer des dreirädrigen Gefährts sich ordentlich abstrampeln muss. Es geht durch enge, verwinkelte Gassen, an deren staubigem Rand Mengen von Bauschutt und allerlei Gerümpel auffallen. Auch hier hat man immer wieder Einblick in die Wohn- und Geschäftsräume der grauen niedrigen Hausreihen, und das soziale Leben spielt sich zum Teil auf der Gasse ab: Wäsche wird gewaschen, Essen gekocht. Diese traditionellen Wohnviertel werden im modernen Peking immer seltener, während sie früher den normalen Standard der Bevölkerung darstellten.

An einer Stelle halten wir an und dürfen eine Familie in ihrem Wohnhof besuchen. Ein eher staubgraues als grünes Gärtchen erwartet uns, auch hier stapelt sich altes Baumaterial, und auf den Steinplatten des Bodens dampft ein zugedeckter Kochtopf über einem Kohlenfeuer. Das Innere des niedrigen Hauses ist karg möbliert, aber ein Fernseher fehlt nicht. An der Decke hängt eine nackte Energie-sparlampe; auf einem Kommödchen steht ein Gestell mit Kalligrafie-Pinseln. Man hat nicht den Eindruck, dass bei der Einrichtung, die nach unseren Maßstäben aus zusammengewürfeltem Sperrmüll-Mobiliar zu bestehen scheint, Wert auf Stil oder Gemütlichkeit gelegt wurde. Die anwesende Hausfrau (um die 60) macht keinen ungebildeten Eindruck, ihr Mann ist sogar Hochschul-Professor. Dass sie in solch simplem Milieu wohnt, ist für uns schwer nachvollziehbar.

Unser nächstes Ziel ist das Lama-Tempelkloster im Nordosten der Stadt; es gehört nicht zum offiziellen Programm, sondern wir nutzen unseren „freien Nachmittag“ für diese Unternehmung in eigener Regie. Auch hier ist das Gelände großflächig und enthält außer kleineren Nebengebäuden fünf prächtige Tempelhallen. Mehrere große, teilweise vergoldete Buddha-Figuren sind darin, darunter auch der fröhliche Typ mit dem dicken Bauch. Zu seinen Seiten stehen bedrohlich wirkende Tempelwächter, die böse Dämonen zertreten. Im Freien gibt es mehrere verzierte Holzkohlebecken auf Untersätzen, an denen Gläubige jeden Alters Räucherstäbchen entzünden, die mit Blick auf den Tempeleingang, betend mit beiden Händen hochgehalten werden, stehend oder kniend. Die Gebetsmühlen (aufrecht stehende hohe Zylinder mit Schriftzeichen) werden ebenfalls von Alt und Jung durch eine Handbewegung in Drehung versetzt.

Ein kurzer Gang bringt uns zum Konfuzius-Tempel, vor dem eine Marmor-Statue des Obersten Lehrmeisters steht, dessen hierarchische Ordnung noch heute Bedeutung hat. Die Gründung der Anlage begann Anfang des 14. Jahrhunderts. Hier wurden auch die Staatsbeamten ausgebildet und examiniert. Ihre Namen aus 6 Jahrhunderten sind auf 198 Stelen im Ersten Hof verewigt. Für die Rückfahrt zum Hotel ziehen wir die U-Bahn einer Taxifahrt durch die verstopften Straßen vor; eine überaus hilfsbereite junge Chinesin hilft uns am Fahrkartenautomaten und geleitet uns bis auf den richtigen Bahnsteig.

 

Donnerstag, 15. Oktober

Unser Honda-Kleinbus fährt uns nach dem Frühstück in ca. 40 Minuten zum Beijing Airport. Mit einer lokalen Fluglinie der China Air erreichen wir in einer knappen Stunde das nächste Etappenziel: Xi'an. Unser neuer Guide ist weiblich und lässt sich Betty nennen (ihr Familienname Li ist einer der häufigsten in China).

Sie studiert Germanistik und lebt mit anderen Studentinnen in einer Wohngemeinschaft. Ihr sympathischer Charme korrespondiert mit einer Fähigkeit der Empathie, wie sie für einen Reisebegleiter geradezu vorbildlich ist. Stets nimmt sie Rücksicht auf meine Schwerhörigkeit, begleitet mich in Restaurants bis zur Toilettentür und achtet auf mögliche Sitzgelegenheiten für mich. Möglicherweise zeigt sich hier aber auch der höfliche Respekt des Chinesen vor dem Alter.

Die geschichtsträchtige ehemalige Kaiserstadt Xi'an ist im Kern von einer mächtigen begehbaren Stadtmauer umgeben. Von der Romantik etwa Rotenburgs ob der Tauber ist sie freilich weit entfernt. Die Altstadt innerhalb der Mauer mit ihren geraden sich kreuzenden Straßen weist zwar noch manches stattliche alte Bauwerk auf, es überwiegen aber Neubauten, die im Außenbereich der 5-Millionen-Stadt ohnehin Standard sind. – Wir kommen am historischen Glockenturm vorbei, der eigentlich keine Turm ist, sondern ein mächtiges Gebäude mit dreifach gestaffeltem Dach und einem hohen Sockel. Früher verkündete der Glockenschlag das morgendliche Herablassen der Zugbrücken an den vier Stadttoren. Ähnlich der etwas kleinere Trommelturm: Sein Trommelton signalisierte allabendlich das Schließen der Stadttore. Gebäude wie diese beiden mit gleicher Funktion gibt es in vielen alten Städten Chinas.

Beim Besuch der Großen Moschee, die wiederum keine Ähnlichkeit mit entsprechenden Bauten in Europa hat, sondern ganz im chinesischen Stil erbaut ist, fällt abermals auf, dass damit nicht nur das namengebende Gebäude gemeint ist, sondern das gesamte Umfeld mit Gartenanlagen, Toren und Nebengebäuden. Es ist das Zentrum der muslimischen Hui-Minderheit, deren Vertretern wir hier auch mit ihren ungewohnten weißen Kappen begegnen. Anschließend unternehmen wir einen Bummel durch das umgebende muslimische Viertel und seine quirligen Basars.

Zum Essen suchen wir ein Restaurant auf, in dem man uns eine lokale Spezialität serviert: Kleine Teigtaschen (ähnlich den Schwäbischen Maultaschen) mit 15 verschiedenen Füllungen. Wie immer genießen wir dazu das schmackhafte Tsingtao-Bier, dessen Ursprung die deutsche Kolonie Tsingtau (1897-1919) ist, wo es gebraut wurde. – Dann fährt unser Fahrer Sung zu unserem Hotel Xi'an Garden.

 

Freitag, 16. Oktober

Bevor wir die Stadt zu einem weiteren Ausflug verlassen, besichtigen wir eine örtliche Jade-Manufaktur. Dieses blassgrünliche, seltener auch weiße Edel-Mineral, das in der chinesischen Kunstgeschichte schon seit 8000 Jahren eine wichtige Rolle spielt, wird hier kunstfertig zu Figuren und Schmuck verarbeitet. Das Werkzeug hat – ähnlich wie bei der Elfenbein-Schnitzerei in Deutschland – natürlich eine technische Entwicklung hinter sich, und so sehen wir Kunsthandwerker bei der Arbeit, die mittels elektrisch betriebener Handfräsen das wertvolle Werkstück geschickt bearbeiten. In den Verkaufsräumen werden die fertigen Objekte in mannigfacher Ausführung angeboten, wobei sich die kleinen Buddha-Figuren bei auswärtigen Touristen besonderer Beliebtheit erfreuen. Die größeren Exemplare zeigen in filigranen Landschafts- und Tierdarstellungen die unübertroffene Meisterschaft der chinesischen Jadeschnitzer, ihre Preise liegen denn auch im 5-stelligen Eurobereich.

Unser eigentliches Ziel des heutigen Tages liegt knapp 30 km östlich von der Stadt: Es ist die weltberühmte Terrakotta-Armee. – Qin Shuhangdi, der erste Kaiser Chinas und Begründer der Qin-Dynastie (221-207 v.Chr.) ließ sich eine riesige unterirdische Grabanlage bauen, an der 700.000 Arbeiter 36 Jahre lang werkten. Sie enthält unter anderem ca. 7000 große Tonfiguren, welche den Aufmarsch von Bogenschützen und Speerträgern darstellen, begleitet von Reitern und Kampfwagen. Entdeckt wurde dieses einmalige Relikt zufällig 1974, als Bauern einen Brunnenschacht graben wollten. Bis dahin war lediglich ein hoher überwachsener Tumulus (Grabhügel) über der Erde sichtbar, von dem man annimmt, dass darunter noch ein prächtiger Palast verborgen ist und auf seine Ausgrabung wartet.

Die freigelegten Teile der in militärischer Ordnung aufgestellten Tonsoldaten sind in mehreren Hallen zu besichtigen. Von einem Umgang aus schaut man hinunter in die riesige Grube, wo in langen Gräben die endlosen Kolonnen der Terrakotta-Figuren stehen. Jede einzelne ist sorgfältig bis ins Detail gearbeitet, Ausrüstung, Bekleidung und Bewaffnung lassen den Dienstrang erkennen; die Gesichter sind individuell gestaltet und sagen etwas über die ethnische Herkunft aus. – Neben weiteren Exponaten sind zwei vierspännige Bronzewagen in verkleinertem Maßstab ausgestellt, die einen genauen Einblick in die Beschaffenheit dieser Fahrzeuge wie in die Kunstfertigkeit ihrer Schöpfer geben.

Nach einem Essen im dortigen Restaurant fahren wir weiter. Am Straßenrand bieten zahlreiche Händler Granatäpfel aus heimischer Ernte an. Zuvor hatten wir schon in den betreffenden Plantagen bemerkt, dass die Früchte in der Zeit der Reifung in durchsichtigen Plastikbeuteln einzeln am Ast hingen (in denen sie nun auch verkauft werden). Angeblich soll dies zu vermehrter Süße führen.

Unsere Führerin Betty hat den Besuch einer armen Bauernfamilie auf dem Lande organisiert. Das schlichte Anwesen, teilweise aus Lehmziegeln errichtet, besteht eigentlich nur aus einem einzigen Raum, in dem geschlafen, gekocht und gegessen wird. Die Einrichtung ist entsprechend dürftig.

Wieder in der Stadt, besuchen wir einen Medizin-Markt. In einer riesigen Halle sind dicht an dicht Unmengen von pflanzlichen und tierischen Heilmitteln gelagert, teils in hüfthohen, oben offenen Säcken (wie Samen, Früchte, Blüten und Wurzeln), teils auf Kisten ausgebreitet (u. a. getrocknete Schlangen, Frösche, Eidechsen, Skorpione und Rinderpenisse). Vermutlich kaufen die Patienten hier die ärztlich verordneten Mittel, oder Heilkundige selbst decken ihren Bedarf für die Zubereitung ihrer Arzneien ein.

Ein weiterer Besuch bringt uns zu einem großen Gemüsemarkt. Hier, in einer großen Halle, aber auch draußen auf dem Steinboden, haben die Kleinbauern Feldfrüchte, Obst und Gemüse auf kleinstem Raum zum Verkauf ausgebreitet. Manche verkaufen direkt von der Transportfläche ihres Dreirades oder den anhängenden Körben ihres Fahrrades. Es sind meist nur jeweils kleine Mengen, auf die sie sich anscheinend spezialisiert haben; also keineswegs größere Sortimente. Wie zu erwarten, gibt es manche Produkte, die uns nicht geläufig sind, wie junger Bambus sowie Stängel, Blätter, Wurzeln oder Früchte unbekannter Herkunft.

Den Rest des Tages verbringen wir lesend im hübschen Garten unseres Hotels, in dem ein Pfau umherstolziert, und wo wir an einem Teich mit Springbrunnen sitzen können. Meine Lektüre ist passenderweise ein Kriminalroman von Wallander, „Der Chinese“, der zum großen Teil im China des 19. Jahrhunderts spielt, aber auch im modernen Peking.

 

Samstag, 17. Oktober

Vormittags begeben wir uns in ein Viertel außerhalb der Stadtmauer zur Großen Wildgans-Pagode aus dem 7. Jahrhundert, welche sich als siebenstöckiger, sich nach oben verjüngender Turm am Rande einer ausgedehnten Tempel-Anlage erhebt. Ich lasse, um mein schmerzendes Bein zu schonen, meine Begleiter zunächst allein dorthin gehen und ruhe mich auf einer Bank aus. In einem nahen Gebäude entdecke ich ein Art Museum. Dort stehen unter anderem 12 brusthohe, vergoldete Tierfiguren, welche die Chinesischen Zodiac-Jahre versinnbildlichen (ich bin im „Jahr der Ratte“ geboren). Am Fuße der Figuren liegen offen zahlreiche Geldscheine, die von Gläubigen dort hinterlassen wurden, – eine Sitte, der wir an manchen Plätzen noch oft begegnen. – In einem anderen Raum schreibt ein Kalligraf für Touristen ihren Namen in chinesischen Zeichen mit Tusche und Pinsel auf einen Papierbogen. – Schließlich begebe ich mich doch noch zur Pagode, um einen direkten Eindruck von diesem stattlichen Bauwerk zu bekommen und einen Blick ins Innere zu werfen. In einer der Hallen zeigt ein drei Wände des Raumes umfassendes und bis an die Decke reichendes Wandrelief aus geschnitzter und bemalter Jade die Lebensgeschichte Buddhas.

Als nächstes fahren wir zum Yangling-Mausoleum aus der Han-Zeit, ca. 80 km westlich von Xi'an. Hier hatte der Kaiser Jingdi (188-141 v.Chr.) das höfische Leben seiner Residenz in zahllosen Terrakottafiguren verewigen lassen. Einige Ausgrabungen, die erst vor 2 Jahren frei gegeben wurden, können wir unter uns durch begehbare Glasplatten betrachten.

Dann geht es zum Xi'an Airport, wo wir gegen 17 Uhr eine Maschine der Western China Airlines besteigen, die uns in gut 1½ Stunden nach Guilin bringt. – Unser neue Guide ist wieder eine Studentin namens Li, die uns zu unserem Hotel Bravo begleitet.

 

Sonntag, 18. Oktober

Schon um 9 Uhr sind wir in unserem Kleinbus unterwegs zum Flusshafen: Hier besteigen wir ein Ausflugs-Schiff, mit dem wir in den nächsten fünf Stunden eine spektakuläre Reise auf dem Li Jiang unternehmen (83 km). Ich habe im unteren Raum einen Fensterplatz und kann die außergewöhnliche Landschaft bei offenem Schiebefenster in aller Ruhe genießen. Das Flusstal ist gesäumt von Bergformationen, wie ich sie allenfalls schon einmal in Geo-Magazinen gesehen habe. Es handelt sich um Karst-Berge von bizarren Formen, die gelegentlich an eine aufrecht stehende Paranuss-Hälfte erinnern. Die Ufer sind kiesig, dann folgt nach wenigen Metern bis zum Fuß der Berge ein niedriger Wald, durch den nur hin und wieder menschliche Behausungen schimmern. Gelegentlich stehen Wasserbüffel in Gruppen im flachen Fluss. – Wir fahren im Konvoi; insgesamt dürften es ein Dutzend Schiffe sein. Im Heck derselben befindet sich eine halboffene Küche, wo die warmen Mahlzeiten für die Fahrgäste zubereitet werden.

Ab und zu sieht man am Ufer schmale Bambusflöße liegen, und mehrmals nähern sich uns auch solche, auf denen ein Mann Souvenirs anbietet, die er hoch hält. Bei der ersten Begegnung denkt man dabei fast an Piraten. Auch ein Floß mit einem Kormoranfischer ist zu sehen, an dem wir vorüberfahren. Hin und wieder liegen ärmliche Hausboote am Ufer, und Frauen waschen ihre Wäsche im Fluss.

Die Fischer benutzen den abgerichteten Kormoran, indem man ihn ins Wasser tauchen lässt, um einen Fisch zu erjagen. Hinunterschlucken kann er ihn nicht, weil ein Metallring um seinen schlanken Hals dies verhindert. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine Beute wieder auszuspeien. Wenn das zunehmende Alter des Kormorans seine Arbeitsfähigkeit beendet, beweist der Fischer seinen Respekt vor dem treuen Diener, indem er ihm eine Dosis Reisschnaps verabreicht, die ihn sanft entschlafen lässt. Dann wird der Vogel auf einem speziellen Kormoran-Friedhof beerdigt.

Als wir uns unserem Ziel, der Stadt Yangshuo, nähern, tauchen auch Flöße auf mit 2-4 überdachten Sitzen für Touristen. Während die Natur-Ausführung aus 5 armdicken Bambusstämmen besteht, sind es jetzt oft Flöße aus gleich geformten Alu-Rohren, die wie die anderen vorn und hinten leicht hochgebogen sind. Gestakt werden sie ebenfalls mit langer Stange; denn der Fluss ist nicht tief.

In Yangshuo gehen wir von Bord, und hier am Kai erwartet uns ein alter Fischer mit flachem Strohhut, der eine lange Bambusstange quer vor sich hält, auf deren Enden je ein Kormoran sitzt. Ganz offensichtlich posiert er für ein Foto der Touristen.

Wir steigen in dichtem Gedränge den Weg am Uferhang hinauf und passieren einen langen Markt mit gemischten Angeboten, aber dem Anschein nach in erster Linie für die Schiffstouristen gedacht. Diese Art von Basaren werden hier auch „Hallo-Märkte“ genannt, weil dieser Ruf allenthalben ertönt, um die Passanten auf das Angebot aufmerksam zu machen.

Unser Hotel New Century macht von außen einen eher schlichten Eindruck. Beim Betreten des mir zugewiesenen Zimmers bin ich jedoch sehr überrascht: Offenbar hat man mich mit einem Kaiserspross verwechselt oder zumindest für einen Gast der VIP-Klasse gehalten: Es ist kein gewöhnliches Doppelzimmer, sondern eher eine mich luxuriös anmutende, komfortable Suite, wie ich sie noch nie betreten habe. Sonderbarerweise bestehen die Wände des Bades auf zwei Seiten aus Glas, so dass der Benutzer der Toilette sich wie auf dem Präsentierteller fühlen muss. Da auf der gegenüberliegenden Straßenseite Fenster auf gleicher Höhe liegen, ziehe ich vorsichtshalber meine Vorhänge zu.

Während Thomas und Bärbel einen Stadtbummel unternehmen, ruhe ich mich eine Weile in meinem Prunkgemach aus; denn es steht noch ein abendliches Event bevor.

Eigentlich hatten wir an diesem Ort eine vielversprechende Fahrt mit einem Heißluftballon eingeplant, gaben diese Idee aber auf, als wir wenige Tage zuvor in einer englischsprachigen Tageszeitung lasen, dass bei eben dieser Aktion ein tragisches Unglück passiert war: Beim Aufstieg schlug der Korb gegen einen Felsen, so dass die Gasflasche ein Leck bekam. Sie explodierte, der Ballon stieg brennend auf. Die beiden chinesischen Piloten sowie ein Fahrgast retteten sich durch Absprung; 3 holländische Fahrgäste kamen in den Flammen um.

Nach dem Abendessen bringt unser Fahrer uns in die Nähe des Flusses Li, wo wir vor einem Tor in einem breiten Strom von Veranstaltungs- teilnehmern landen. Obwohl keine Andeutung von Ordnungs-System erkennbar ist, gelingt es uns, in diesem Gewimmel unsere nummerierten Plätze auf der riesigen Tribüne zu finden. Dann beginnt die eindrucksvolle Light-Show „Impression Liu Sanjie“, eine Art Open-Air-Musical. Ihr Schöpfer ist kein Geringerer als der chinesische Meister-Regisseur Zhang Yimou, dessen Stärke perfekte Choreografien sind, beispielsweise die der Eröffnungs- und Schlussfeier der Olympischen Spiele 2008 in Beijing. – Starke Scheinwerfer strahlen die Karst-Berge hinter dem hier breiten Fluss an, und auf der stillen Wasserfläche rollt die spektakuläre Show aus Licht, Gesang, Akrobatik und Tricktechnik ab, an der über 800 Akteure mitwirken. Das Ganze wirkt ungemein chinesisch und hat mit amerikanischem Show-Stil wenig gemeinsam.

 

Montag, 19. Oktober

Am Morgen führen Thomas und Bärbel mich noch zu dem Bauernmarkt, den sie zuvor kennen gelernt hatten. Neben landwirtschaftlichen Produkten werden auch diverse Fleischsorten angeboten, freilich unter ziemlich unhygienischen Umständen. Zum ersten Mal sehe ich auch geschlachtete Hunde, die, gehäutet, an den Haken einer Querstange hängen. Lebende Hunde sind in enge Käfige eingepfercht und warten darauf, erschlagen zu werden. Fotografieren ist hier unerwünscht – wir tun es (heimlich) trotzdem.

Gegen 12:30 Uhr verlassen wir Yangshuo mit unserem Kleinbus und treten die Rückfahrt über Land nach Guilin an. Die Fahrt führt, parallel zum Fluss, aber ohne Sicht auf ihn, über eine beiderseits baumbestandene Landstraße, von denen ich kaum ein Gewächs mit Namen kenne. Immerhin lerne ich den gelben Zimtblüten-Busch kennen, aus dem hierzulande ein beliebter Schnaps bereitet wird. Es geht vorbei an Mais- und (trockenen) Reisfeldern, Brachland und kleinen Gehölzen. Siedlungen sind selten, aber wenn wir welche passieren, werden am Straßenrande Pomelos angeboten (eine Kreuzung aus Grapefruit und Pampelmuse).

Gegen 14 Uhr treffen wir in Guilin ein und suchen unser Hotel von vorgestern auf. An einem nahen See innerhalb einer Grünanlage lege ich eine Pause ein, während die beiden in Guilin unterwegs sind. – Beim Abendessen in einem der Hotelrestaurants entscheiden Thomas und ich uns ausnahmsweise für Lammkotteletts, weil wir zur Abwechslung mal wieder etwas Nicht-Chinesisches genießen wollen.

 

Dienstag, 20. Oktober

Um 12:30 Uhr brechen wir auf und fahren mit dem Kleinbus Richtung Flughafen, der weit außerhalb liegt. Die Viertel, welche wir durchqueren, scheinen Sanierungsgebiet zu sein, denn wir passieren ständig Baustellen und Abriss-Häuser. Einmal kommen wir an einer Bären- und Tiger-Farm vorbei, – was immer das sein mag. Am Airport besteigen wir eine Maschine der Southern China Airlines, die uns nach Shanghai bringt. – Nach einer Stunde Wartezeit im Terminal erscheint unser letzter Guide, ein netter Student namens Xu (sprich: Schü). Wir erfahren von ihm, dass die Stadt derzeit 20 Millionen Einwohner hat, von denen 5 Millionen Gastarbeiter seien, die an der Vorbereitung Shanghais auf die dortige Expo 2010 beteiligt sind.

Ein interessantes Detail ergibt sich aus dem Gespräch mit ihm: Da seine Eltern entgegen den strengen Bestimmungen zur Geburtenkontrolle (nur 1 Kind ist erlaubt) nach seiner Schwester mit ihm ein zweites Kind bekommen haben, mussten sie die gesetzliche Geldstrafe (10.000 Yuan = 1000 Euro) zahlen. Er wiederum darf sich zwei eigene Kinder leisten, da er zu einer ethnischen Minderheit gehört, deren Sprachbesonderheit vom Staate geschützt und ihre Erhaltung gefördert wird.

Als erstes suchen wir den Jade-Buddha-Tempel auf, dessen Attraktion zwei große Buddhafiguren sind, die jeweils aus einem einzigen Jade-Block gefertigt wurden; die stehende Figur ist 1,95 m hoch. Beide stammen aus Burma. Ein glücklicher Zufall will es, dass wir einer Gruppe buddhistischer Mönche bei rituellen Gesängen zuhören können. – Gegen 17 Uhr sind wir in unserem Hotel Holiday Inn, wo wir auch das Abendessen einnehmen.

 

Mittwoch, 21. Oktober

Wir fahren zunächst zu einem Bummel in die Altstadt mit ihrer teilweise noch klassischen Bausubstanz. Dort flanieren wir durch eine belebte Geschäftsstraße, in der Laden an Laden grenzt, aber auch auf offener Straße Verkäufer ihre Ware anbieten. In einem Spezial-Geschäft gibt es überaus kunstvolle Schnitzereien aus Mammutzahn zu bewundern. Obwohl auf den ersten Blick unspektakulär wirkend, faszinieren mich die durchbrochenen Kugeln, in deren Innern mehrere weitere kleinere Kugeln der gleichen Art („Familien“) sind, immer eine kleinere in der größeren, – und dies alles aus einem einzigen Stück geschnitzt.

Dann suchen wir den berühmten Yu-Garten auf, der als einer der schönsten Gärten Chinas gilt und 1559 als Alterssitz für einen hohen Staatsbeamten angelegt wurde. – Unser schmaler, aber von vielen Besuchern begangener Weg führt verwinkelt an Pavillons und Hallen, an kleinen Seen mit Unmassen von roten Kois vorbei, über Brücken und durch Wandelgänge. Man hat das Gefühl, dass hier chinesische Gartenkunst auf engem Raum komprimiert wurde.

Anschließend fahren wir zum Essen in das japanische Restaurant Teppanyaki. Wir sitzen mit anderen Gästen an einem großen Tisch, an dem der Koch auf einer heißen Metallplatte nach Wunsch der Kunden die Mahlzeit zubereitet; bei uns ist es gebackener Mandarin-Fisch.

Zurück im Hotel (unser Guide hat sich inzwischen von uns verabschiedet), ziehe ich mich einige Zeit zurück, während Thomas und Bärbel noch einmal durch die Altstadt bummeln. – Das Abendessen nehmen wir der Einfachheit halber in einem naheliegenden Speiselokal der US-Kette Kentucky Fried Chicken ein, das vor allem für Thomas zu einer herben Enttäuschung gerät. – Am Abend besuchen wir gemeinsam eine Veranstaltung des New Shanghai Circus. Nach Spitzenleistungen der Bereiche Tanz, Artistik, Akrobatik und Jonglage gibt es zum Schluss eine wirkliche Sensation: Auf der Bühne steht eine Käfig-Kugel von etwa 5 m Durchmesser. Durch eine kurzfristig geöffnete Klappe fährt ein Motorradfahrer hinein und dreht seine Runden, natürlich auch kopfüber. Ihm folgt ein zweiter, ein dritter, ein vierter – und schließlich ein fünfter! Und alle rasen kreuz und quer durcheinander, ohne zu kollidieren. Eine wirklich atemberaubende Vorstellung.

 

Donnerstag, 22. Oktober

Wir nehmen ein Taxi und fahren zum Fluss Huangpu, den wir am Vormittag schon von der Brücke aus betrachten konnten samt der eindrucksvollen Skyline des Pudong-Viertels. Am Kai liegt ein großer, mehrstöckiger Flussdampfer, der mit seinen typischen Dächern wie ein schwimmender Palast aussieht; der Bug ist mit zwei großen vergoldeten Drachenköpfen geschmückt. Unsere Flussfahrt erfolgt aber nicht mit ihm, sondern mit einem gewöhnlichen Ausflugsschiff von River Tours. – Wir fahren eine halbe Stunde nach Norden, während wir einen ausgiebigen Blick auf die Massen von Hochhäusern auf der Ostseite haben. Hier stehen überwiegend Geschäftshäuser, darunter auch das der Deutschen Bank. Mittendrin der hohe Fernsehturm mit der Kugel; aber das markanteste Bauwerk ist der schlanke „Flaschenöffner“, der seinen volkstümlichen Namen wirklich zu Recht trägt (gemeint ist jener mit dem eckigen Ring zum Lösen der Kronkorken). Wir passieren ein altertümliches schwimmendes Hotelrestaurant und Lagerhallen. Auf dem Fluss herrscht reger Lastverkehr. Dann kehrt unser Schiff um, und wir fahren die gleiche Strecke zurück.

Nach der Rückkehr ins Hotel brechen Thomas und Bärbel zu einem weiteren Stadtbummel auf, während ich auf meinem Zimmer verbleibe. Da ich nicht ausschließlich lesen möchte, schalte ich interessehalber mal den Fernseher ein und zappe mich durch die 61 Kanäle. Es wird reichlich Werbung geboten; ein amerikanischer Spielfilm läuft mit chinesischen Untertiteln (hier muss ich Thomas' Argument bestätigen: Wenn der chinesische Zuschauer die bis zu 15 Zeichen innerhalb 2 Sekunden ihres Erscheinens entziffern kann, ist ein „flüssiges“ Lesen der chinesischen Schriftzeichen durchaus möglich, was ich eigentlich bezweifeln wollte). Auf zwei Kanälen laufen Kriegsfilme aus der Mao-Zeit mit vaterländischem Pathos. – Zum Essen gehen wir erneut in das benachbarte Hotelrestaurant, wo wir uns wieder mehrere kleine Mahlzeiten bestellen (eine gebratene Taube kostet umgerechnet 1,80 Euro!). Die hier ebenfalls angebotenen Schweinehoden, Fischköpfe und Ochsenfrösche verlocken uns weniger.

 

Freitag, 23. Oktober

Der Tag der Heimreise wird lang werden. Er beginnt mit dem Frühstück um 6:30 Uhr, danach folgt die Fahrt mit unserem Kleinbus zur Transrapid-Station Pudong. Es ist der Kopfbahnhof der weltberühmten Magnet-Schwebebahn. Dieses schnellste Landverkehrsmittel der Welt (es fährt im Schnitt 301 km/h und erreicht nur für 50 Sekunden die Höchstgeschwindig- keit von 430 km/h. – Nach 8 Minuten erreichen wir unser Ziel: den Shanghai Airport.

Wir fliegen wieder mit der China Air im Nonstop nach Frankfurt. Da wir der untergehenden Sonne hinterher fliegen, verlängert sich unser Tag um 6 Stunden. – Nach 12 Std. 10 Minuten Flugzeit treffen wir in Frankfurt ein. Ein Shuttlebus bringt uns zum Parkhaus, wo wir unseren Wagen wieder übernehmen. Über die Autobahn geht es heimwärts nach Essen. Gegen 22:30 Uhr bin ich wieder zu Hause.

 
Essen, im Oktober 2009
© Rolf Schoch